Das gegenwärtige Verhältnis der Dänen gegenüber den Deutschen
Deutsche in Dänemark
1,8 % der Befölkerung Dänemarks bestehen aus sog. "Deutschen". Dies ist die allergrößte nationale/ethnische Minderheit bei uns; die Türken betragen nur ung. 0,95 %. Obwohl die Zahl des deutschen Bestandteil wahrscheinlich auch die Deutschgesinnten mitrechnen (die sowieso 100 % zweisprächig ist -- Deutsch, beziehungsweise Plattdeutsch, + Dänisch, bez. Südjütisch -- genau sowie die dänischgesinnten in Deutschland [die auch die Nordfriesen umfassen]), glaube ich eher, daß die meisten Deutschen in Dänemark Einwanderer erster Generation aus Deutschland sind. In meinem Leben (das ich, leider, zumeist in Städten verbracht habe [die deutschgesinnten wohnen auf Als und überhaupt in Südjütland/Nordsleswig, und viele davon sind Bauern]), habe ich überall in Dänemark Deutschen getroffen. Sogar mein Gottvater Karl-Heinz stammte aus Deutschland. Eine solche ständige Einwanderung spricht davon, daß die Deutschen sich in Dänemark zupass fühlen.
Direkte Kontakt im Ausland
Ungefär jeder Däne verbringt mindestens eine Ferie seines Leben in Deutschland. Es ist zudem mein Eindruck, daß jeder dänische Mann oder Frau, der mehr als 10 Liebesgeschichten als Erwachsen hinter sich hat, mindestens ein Verhältniß mit einem Deutschen/Österreicher/Schweizer verbracht hat [Population: meine Freunde und Verwandte in Kopenhagen].
Sprache
Die deutsche Sprache ist germanisch wie die skandinavischen Sprachen. Das heißt, daß wir Dänen viele Erbwörter gemeinsam mit den Deutschen haben, obwohl nicht so viele wie mit den übrigen nordgermanischen Völkern. Andererseits ist der hanseatische Einfluß in der Sprache riesengroß. Man kann ihn garnicht übertreiben. Wörter (nieder-) deutscher Herkunft dringen im dänischen Wortschatz überall ein, bes. in Terminologien älterer Professionen wie Bäckerei, Schneiderei, Zimmerarbeit, Mauern, Architektur, teilweise Kirche, Buchhaltung, überhaupt was mit Büchern zu tun hat (drucken, ausgeben, verkaufen) u.s.w. Dazu haben wir viele umgangssprachlichen Frasen und anderen Ausdrücke entlehnt. Ein umgekehrter Einfluß — dänische Entlehnungen im Deutschen — ist kaum Spürbar. Ich kann kein einziges eingeborgenes dänisches Wort in (Standard-) Deutsch nennen (vielleicht nur die übertragene Bedeutung im deutschen Slang von "fett" = "toll, attraktiv").
Wenn wir Dänen Deutsch reden, finden wir deshalb viele Ausdrücke und Redeweisen, die bei uns vor 80 Jahren üblich waren, heute aber komisch, alt, teilweise archaisch vorkommen: "Sehr geehrte Herr,...", "Mit Hochachtung", "Guten Tag!", "Auf Wiedersehen!", "Achtung!", der Gruß "Hallo!" ohne Telephon, das ständige Siezen, die Deverbativa auf -en, grosse Vorbuchstaben in Substantiva und so weiter.
Jeder Däne kann mit minimalen grammatischen Voraussetzungen eindeutige und klare Gespräche auf Deutsch führen. Nie perfekt, aber verständlich. Selbst die allerschlechteste dänische Schüler reden meinen Beobachtungen nach besser als viele Einwanderer, die ich in Deutschland und Österreich getroffen habe, und die jahrelang in deutschsprechenden Ländern wohnen. Dänen brauchen nur einen Grundwortschatz von etwa 100 ertzdeutschen Wörter, wonach sie bloß dänische Wörter nach bestimmten phonetischen regeln verdeutschen. Jedoch schlagen die meisten Dänen in Englisch um, wenn es eine Gelegenheit gibt.
Zeitstufen und Modernität
Die Vorurteilen sind oben erwähnt. Man muß dazu bemerken, daß wir Dänen die Deutschen auffassen nicht als Fremde, sondern als unsere Verwandte. Diese Auffassung ist allerdings unbewußt, aber ist die Voraussetzung für alle andere Urteile. Wir sind derselben Familie. Wenn die Schweden und Norweger unsere Geschwister sind, sind die Deutschen etwa wie unser Vetter/Cousins, die wir eigentlich öfter treffen, als unsere Brüder. Die Sprachverhältniße sind schon erwähnt. Die Deutschen sprechen wie wir Dänen vor vielen Jahren. Ausserdem leben sie auch in unserer Vergangenheit: der Anteil von Hausfrauen in Deutschland ist wie in Dänemark vor dreißig Jahren; Mobiltelephonen und Computer sind so selten in deutschen Familien wie in Dänemark vor 8-10 Jahren; die deutsche Populärmusik (Schlager) klingelt wie die dänische vor 20 Jahren. Deutsche Schwulen, Lesben, Hippies und Autonomen haben die selbe Diskussionen, Diskurse, Denkweisen wie ihre dänische Entsprechungen vor 10-20 Jahren. Alles dieses beträgt zum allgemeinen Eindruck von Deutschen als unsere zurückgebliebene Cousins, aber nie als Fremde. Alles in Deutschland ist uns bekannt, und ein Däne kann sich da gut einpassen — er braucht bloß an seine Kindheit zu Denken.
Erik Thau-Knudsen
2005-12-01 (dieser Text wurde ursprünglich in 2001-2004 geschrieben. Die Datierung gält der letzten Redaktion)